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Joseph Wolff

Jüdisch-christlicher Missionar

(1795 - 1862)

M.G.Bowler

Joseph Wolff, wahrscheinlich der erste große jüdische Missionar der Neuzeit, war ein Genie, ein illui, wie seine jüdischen Mitgenossen ihn genannt hätten. Dies sieht man an einem Kommentar seines Vaters, Rabbi David Wolff aus Weilersbach in Bayern, wo Joseph 1795 geboren wurde: „Er läuft beständig herum und überlegt  das ist nicht normal." Dieser Kommentar wurde gegeben, nachdem ein lutherischer Pastor dem jungen Joseph gesagt hatte, er solle Jesaja 53 lesen, und Joseph seinen Vater gebeten hatte, ihm diese Stelle zu erklären. Obwohl Joseph erst 7 Jahre alt war, äußerte der Vater seine Besorgnis gegenüber seiner Frau: „Unser Sohn wird kein Jude bleiben!" Sein Vater hatte Unrecht, aber auf seine Art hatte er seine Befürchtung zum Ausdruck gebracht, dass Joseph verloren sein würde für die eigene rabbinische Tradition.

Jedoch zeigte er den echten jüdischen Eifer zum Lernen, und nachdem er ein protestantisches Lyzeum in Stuttgart besucht hatte, ging er dann auf ein römischkatholisches Lyzeum in Bemberg, wo er sich entschloss, Christ zu werden und Jesuitischer Missionar. Er war gerade erst 11 Jahre alt, doch diese Gesinnung bewog seine Verwandten in Bemberg, bei denen er wohnte, ihn hinauszuwerfen. Von dort ging er nach Frankfurt, Halle, Prag und Wien. Mit 15 Jahren studierte er Latein, Griechisch und Geschichte in München. Während seines Philosophiestudiums am Lyzeum im sächsischen Weimar traf er den großen deutschen Philosophen Goethe. In der Schweiz wurde er aus der katholischen Lehranstalt ausgeschlossen, weil er sich weigerte, sich vor der Statue der Jungfrau mit dem Kind zu beugen. Am 13. September 1812, im Alter von 17 Jahren, wurde er durch den Abt des Benediktinerklosters in Prag getauft.

Ein außergewöhnlicher Mann

Wolff lernte sowohl von den Protestanten als auch von den Katholiken, aber er bewahrte sich eine bemerkenswerte Unabhängigkeit des Denkens, die ihm nicht erlaubte, sich den Gewohnheiten und Traditionen der ihn Umgebenden anzupassen. Das verursachte endlose Konflikte, aber es bewirkte, dass er nie von der Gesellschaft seiner Zeit vereinnahmt oder absorbiert wurde. Um einen heutigen Ausdruck zu gebrauchen, Joseph Wolff „marschierte zum Schlag einer anderen Trommel", und all seine verschiedenen Studien und Erfahrungen trugen dazu bei, aus ihm einen außergewöhnlichen Mann Gottes zu machen, bereitet für einen außergewöhnlichen Dienst.

In Rom wurde er durch den preußischen Botschafter Papst Pius VII. vorgestellt. Wolff klopfte dem Papst leicht auf die Schulter und bat ihn um einen Segen! Als jemand ihn fragte: „Wolff, wie konntest du dem Papst auf die Schulter klopfen? Machst du dir denn nicht klar, dass der Papst Gott ist?" antwortete Wolff: „Wie kannst du so etwas sagen! Der Papst ist Staub der Erde."

Im Seminar in Rom wurde er ein persönlicher Freund Giovanni Ferrettis, der später Pius IX. werden sollte, der Papst, der 1854 das Dogma der Unbefleckten Empfängnis und 1870 das Dogma der Päpstlichen Unfehlbarkeit erließ. Aber Wolffs Streitbarkeit ließ ihn einen schlechten Katholiken sein. Ihm wurde gesagt, dass die Heilige Schrift nur auf der Grundlage der kirchlichen Autorität verstanden werden könne, aber das erregte in ihm, dem großen Freund der Bibel, Protest. Einen Großteil seiner Zeit in Rom verbrachte er, indem er gegen katholische Dogmen protestierte und sie widerlegte, und interessanterweise wurde er darin von den Menschen toleriert. Als Henry Drummond, ein reicher und einflussreicher Mann, der mit der IrvingiteBewegung in England verbunden war, Rom besuchte und Wolff mit seinen römischkatholischen Lehrern und Mitstudenten diskutieren hörte, war er sehr beeindruckt und lud ihn ein, nach England zu kommen. 1819, nachdem er von der römischen Lehranstalt ausgeschlossen worden war, kam Joseph Wolff nach England, das zu der Zeit das Zentrum der zivilisierten Welt war. Er beschrieb dieses Land als „... das Land der Kraft, Aufrichtigkeit und Frömmigkeit ... das Land wahrer Gentlemen".

Ein aufrichtiger Jude

Seit seiner Jugend hatte Joseph Wolff ein Missionar werden wollen, und seine ausführlichen Studien und Reisen hatten ihn in beachtlicher Weise für solch eine Aufgabe vorbereitet. Ein zufälliges Treffen zwischen Wolff und einem reichen Engländer namens Lewis Way sollte jedoch Wolff in eine Arbeit unter seinem eigenen jüdischen Volk lenken. Lewis Way hatte die Londoner Gesellschaft zur Verbreitung des Christentums unter den Juden aus einer Schuldenlast von £20.000 gerettet unter der Bedingung, dass sie eine anglikanische Gesellschaft wird. Die Londoner Gesellschaft war 1808 als eine interdenominationale Gesellschaft gegründet worden, aber war froh, eine anglikanische Gesellschaft zu werden, um den Bedingungen für die Hilfe Lewis Ways zu entsprechen. Als Way mit Joseph Wolff zusammentraf, sah er in ihm den idealen Missionar für die Gesellschaft. Wolff selbst schrieb: „Die Jüdische Gesellschaft zur Verbreitung des Christentums ist durch jeden Juden, den sie aufgenommen hatte, enttäuscht worden. Einer wurde ein Moslem, ein anderer ein Dieb, ein dritter ein Taschendieb; und ich bin entschlossen dort zu bleiben, um ihnen zu zeigen, dass es auch noch ehrliche Juden in der Welt gibt.". Lewis Way schickte ihn auf die Cambridge Universität, um von dem Dienst des großen evangelikalen Anglikaners Charles Simeon zu profitieren. Gleichzeitig studierte Wolff auch noch unter Professor Samuel Lee, der spezialisiert war auf Arabisch, Persisch, Chaldäisch und Syrisch.

1821 verließ er London und gab in Gibraltar sein persönliches Zeugnis in einer Form, die er immer wieder in seinem Dienst verwendete:

„Wie du weißt, bin ich von Geburt ein Jude, der Sohn eines Rabbiners, aber ich glaube durch die Gnade des Herrn, dass Jesus von Nazareth der Christus ist, denn die Propheten und Mose versichern uns dessen mit klaren und deutlichen Worten; und durch ihn allein, durch Jesus von Nazareth erlangen wir Vergebung von Sünden, wenn wir an ihn glauben."

Er erreichte Jerusalem 1822 und wurde der erste Missionar der Neuzeit, der in der Stadt predigte. Wolff zog viele Zuhörer an, denen er auf Italienisch, Hebräisch, Deutsch, Arabisch und Englisch predigte und, wie man sagte, „erlebte er mehr Erfolg als zu erwarten war". Während seiner Zeit in Jerusalem gewann er einen jungen Rabbiner, Abraham ben David, für den Herrn.

Seine Begegnungen mit den Ostkirchen erregten ihn zum Protest gegen Götzen und Bilder, und seine eigene Position wurde klar umrissen, wenn er von sich erklärte, dass er alles in der Bibel glaubt. Die Bibel war sein Führer und seine letzte Autorität in all seinem Tun.

Der englische Derwisch

1823 reiste Wolff nach Persien. Er schloss sich einer Karavane nach Bagdad an, aber kurdische Banditen nahmen den Trupp gefangen. Er predigte ihnen das Evangelium und als Antwort darauf gaben sie ihm 200 Schläge auf die Fußsohlen! Wolff gewann viele Menschen für Christus und hinterließ großen Einfluss, wo immer er auch war. Doch bei solchen Gelegenheiten, wo er physische Gewalt erlebte, war er nie lange niedergeschlagen, sondern kehrte bald wieder zurück zu seinem begeisterten Zeugnis. Insgesamt gesehen schienen ihn die Juden, Moslems und anderen, mit denen er debattierte, zu respektieren und sahen in ihm einen aufrichtigen, frommen Mann, selbst wenn sie mit seiner Botschaft nicht einer Meinung waren.

Bei seiner Rückkehr nach England wurde er von seinem Patron Henry Drummond zum einem Festmahl des Adels eingeladen, um dort Edward Irving zu treffen. An diesem Punkt nahm sein Leben eine bemerkenswerte Wende; er traf Lady Georgiana Walpole, ein Abkömmling von Premierminister Robert Walpole und Schwester von Lord Orford. Als in Wolff ein romantisches Interesse an Lady Georgiana erwachte und ihr edler Bruder ihn nach seiner Verwandtschaft fragte, nannte Wolff keine Geringeren als Abraham, Isaak und Jakob als seine Vorfahren. Lord Orford war offensichtlich genügend beeindruckt davon, denn Joseph und Georgiana wurden am 6. Februar 1827 in der Kirche St. Georg am Hannover Platz von George Simeon getraut. 

Wolffs Versammlungen als Abgeordneter der Jüdischen Gesellschaft zogen viele Menschen an, denn er konnte einmalige, faszinierende Reiseberichte geben aus Ländern, die zu der Zeit noch weitgehend unbekannt waren. 1827 bekam er die englische Staatsbürgerschaft und ging für die Gesellschaft nach Amsterdam, von wo aus er quer durch ganz Holland reiste und unterrichtete.

Als er mit Georgiana nach Jerusalem zurückkehrte, war sein Empfang nicht so wohlwollend wie zuvor, aber das Geheimnis seines erstaunlichen Überlebens in den weitgehend moslemischen und türkischen Gebieten mag zusammenhängen mit seinem Gebrauch eines speziellen Titels. Er schrieb: „Ich verkehre hier bei den Türken unter dem Namen ‚Englischer Derwisch'," und die Moslems erwarten offenbar ein gewisses Maß an ungewöhnlichem Verhalten von einem Derwisch oder einem mystischheiligen Mann. Dieses half nicht in der Missionsarbeit, so dass die Londoner Gesellschaft schließlich ihre Verbindung zu ihm löste. Ein Freund namens Frere kam zu seiner Rettung und gab ihm £500, was ihm die Möglichkeit zu weiterem Reisen gab.

Aufrichtigkeit, Mut und Geist

W.T. Gidney sagt von Joseph Wolff in seiner Geschichte der Londoner Gesellschaft für Verbreitung des Christentums unter den Juden:

Wolff war im Wesen ein missionarischer Forscher, der den Reiseauftrag im Sinne der Gesellschaft ausübte. Die daraus folgende Errichtung von Missionen unter Juden in den Ländern, die er besuchte, war in großem Maße ein Ergebnis seiner früheren Anstrengungen, seiner unermüdlichen Energie und seines romantischen Enthusiasmus'.

Wolff wurde 1837 als anglikanischer Diakon ordiniert. Bei seiner Rückkehr in diese Gefilde wurde er gern wieder aufgenommen, und das Dreieinigkeitscollege Dublin verlieh ihm die Ehrendoktorwürde. 1838 ordinierte ihn der Bischof von Dromore als Priester, so dass er nun Rev. Dr. Joseph Wolff war, ein geehrter und anerkannter Geistlicher.

Von Zeit zu Zeit ging er noch auf weitere Reisen, aber ließ sich schließlich nieder als Pastor der Gemeinde von Isle Brewers bei Taunton, wo er 15 Jahre blieb. Er schrieb Bücher über seine Reisen, die großes Interesse fanden und deren Einkünfte ihm in der Gemeindearbeit halfen. Aber Wolff gelang es nie so ganz mit der englischen Art zurechtzukommen. Bevor seine Frau Georgiana für einige Tage verreiste, ließ sie ihn versprechen, jeden Tag ein sauberes Hemd anzuziehen. Als sie zurückkam, musste sie feststellen, dass er 5 Hemden anhatte, eins über dem anderen!

Unter seinen Freunden war William E. Gladstone, Sir Walter Scott und Alfred Lord Tennyson. Diese Freunde, sehr scharfsinnig urteilende Persönlichkeiten, sahen in Joseph Wolff einen Mann Gottes, einen hingegebenen und aufrichtigen Botschafter Christi, einen guten Freund und einen Mann von Ehre, Redlichkeit, Mut und Genius. Er starb am 2. Mai 1862 im Alter von 66 Jahren, noch ganz im Dienst für Christus.